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3 Minuten Lesezeit (627 Wörter)

„Angst“

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 Die Krämpfe begannen nachts. Den ganzen Abend zuvor war ich in der heimischen Arena geklettert und hatte einen dieser herrlichen Herbsttage bis zum letzten Tageslicht ausgekostet. Als ich nach Hause ging, war ich völlig entspannt.

Umso mehr überraschten mich nun die Krämpfe. Ich habe tagsüber genug getrunken, habe Magnesium genommen und mich nicht über Gebühr angestrengt. Die Krämpfe dürfte es nicht geben. Aller Logik zum Trotz wurden sie stärker.

Innerhalb weniger Minuten verselbständigte sich alles in mir. Ich hatte keinen Zugriff mehr auf meinen Körper. Konnte mich nicht mehr mit klarem, logischem Denken beruhigen. Mein ganzer Körper zuckte und schlotterte völlig unkontrolliert. Es schnürte mir die Kehle zu und ich konnte nicht mehr schlucken. In rasender Geschwindigkeit sog mich der Strudel der Angst in sich hinein und erst als ich mich Stunden später wieder so einigermaßen beruhigte wurde mir bewusst, dass es jetzt auch mich erwischt hatte.

Das, was ich bisher nur aus den Büchern von Alexander Huber und Thomas Hrovat kannte, verspürte ich nun am eigenen Leib. Sicherlich in abgewandelter Form, aber erstmals wurde ich mit einer Angst konfrontiert, welche mit der Angst wie man sie beim Klettern immer wieder einmal verspürt nichts mehr gemein hat. Dort kann man in den allermeisten Fällen in irgendeiner Art und Weise reagieren. Jetzt gelang mir das nicht mehr. Die Angst die ich jetzt verspürte kam aus dem Nichts. Von einer Sekunde zur anderen und es gab nicht mehr die geringste Chance dem entgegenzuwirken. Und zusätzlich zur Angst kam die Angst vor der Angst.

Es war mir klar, dass ich keinen Moment mehr verlieren durfte um nicht noch weiter Passagier auf dieser Talfahrt zu sein. Zusätzlich zu allen Medikamenten derer ich habhaft werden konnte begann ich auf der Stelle an den verschiedensten Rädchen meines Lebens zu drehen. Ich begann länger zu schlafen, weniger zu arbeiten und mein ganzes Leben schrittweise zu entrümpeln. Klettern war zu diesem Moment kein Thema mehr.

Und ich suchte das Gespräch mit meinen Freunden die mich in den letzten Jahrzehnten an so vielen Tagen in den Bergen und am Fels begleiteten. Von einigen wusste ich, dass sie in der Vergangenheit psychische Probleme hatten. Wie massiv diese wirklich waren, erfuhr ich erst jetzt im Laufe langer Telefonate. Warum hatten die bloß nichts gesagt? Ich wäre doch für sie jederzeit dagewesen! Aber vielleicht hätte ich auch gar nicht verstanden was sie meinten. Jetzt wäre mein Verständnis für solche Ausnahmesituationen ein ganz anderes.

Ratschläge wie „bleib cool" oder „reiß dich doch zusammen" sind völlig fehl am Platz. Wie soll man sich zusammenreißen wenn man keinen Zugriff mehr zu seinem Körper, zu sich selbst hat? Wenn die Angst alles beherrscht und man keine Sekunde mehr allein sein kann? Erst jetzt wird mir ansatzweise bewusst, was die Freunde durchgemacht haben mussten. Und es sind viel, viel mehr Betroffene in meinem Freundes- und Bekanntenkreis als ich mir je gedacht hätte. Leute die mit keinem Wort erwähnten wie schlecht es ihnen wirklich ging und die nur mit allergrößter Mühe wieder aus diesem Schlamassel herausgekommen sind.

„Reiß den Hebel runter" riet mir ein Kumpel am Telefon. „Ich weiß wovon ich spreche. Ich wollte es anfangs auch nicht wahrhaben und hab weitergemacht wie bisher. Zwölf Stunden gearbeitet, danach Sport getrieben bis zur Erschöpfung. Solange bis gar nichts mehr gegangen ist. Es hat mich ein Jahr gekostet bis ich wieder der alte war. Mach es besser als ich und unternimm sofort was dagegen."

„Geh raus", riet er mir. „Einfach raus in die Natur. Spaziergänge, wandern, leichtes klettern und auf alle Fälle runter vom Gas"!

Ich hab´s mir zu Herzen genommen. Mittlerweile schaffe ich es schon wieder öfter ohne Medikamente durch den Tag zu kommen. Ich klettere auch schon wieder. Alles ist beinahe wie immer - nur meine Sichtweise der Dinge ist eine ganz andere geworden.

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Kommentare 2

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Michael Gattol

am Sonntag, 19. November 2017 10:54

Respekt Horst
ein Thema was definitiv bewegt, die Arbeitswelt kennt da nix.
zum denken gibt einen dein Satz: "die Angst vor der Angst"

  • 1
Respekt Horst :o ein Thema was definitiv bewegt, die Arbeitswelt kennt da nix. zum denken gibt einen dein Satz: "die Angst vor der Angst" :(

Thomas Weghofer

am Dienstag, 19. Dezember 2017 20:16

Großer Respekt: ein sehr offener Umgang mit diesem sensiblen Thema. Kann einen schneller selbst betreffen als man glaubt ...

  • 0
Großer Respekt: ein sehr offener Umgang mit diesem sensiblen Thema. Kann einen schneller selbst betreffen als man glaubt ...