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3 Minuten Lesezeit (556 Wörter)

„Bachbettprojekt - oder - es war einmal vor langer Zeit“

Closing Time 8c - Kletterer: Andi Matuska - Photo credit: Stefan Köchel Closing Time 8c - Kletterer: Andi Matuska - Photo credit: Stefan Köchel

Matzi stand in der letzten Sprosse seiner Doppelfiffi und trieb mit wuchtigen Hammerschlägen den Bohrmeißel in den Fels, als er plötzlich erfreut die Gruppe Wanderer in seinem Rücken entdeckte, die sich auf dem gegenüberliegenden Marterlturm eingefunden hatte. Mit Ah´s und Oh´s wurde von ihnen der Kletterer gewürdigt, der sich offensichtlich in Todesgefahr über dem tosenden Bärenschützbach wie eine Spinne in der völlig glatten Wand bewegte. Das war genau nach nach Matzis Geschmack. Sofort hielt er bei seiner schweißtreibenden Bohrerei inne und ließ einen schallenden Juchezer los. Die Wanderer winkten und juchzten zurück. Und auch Matzi winkte und begann erst wieder weiterzubohren als der letzte Zuseher seinen luftigen Aussichtsplatz verlassen hatte.

Einige Zeit war er im Alleingang damit beschäftigt, einen Stichtbohrhaken nach dem anderen zwei Zentimeter weit in den Fels zu treiben bis er endlich, nach dreißig Metern, die darüberliegende Waldterrasse erreichte.

Von nun an gehörte es zu seinem Sonntagsvormittagsprogramm, frühmorgens nach Mixnitz zu radeln und der staunenden Wandererschaft eine erstklassige Show zu bieten, indem er sich mit seinen Trittleitern die strukturlose, hausmauerglatte Felswand hinaufarbeitete. Wie immer allein.

Auch mir blieben diese Vorstellungen nicht verborgen. Ich war fünfzehn und von Matzis Darbietungen schwer beeindruckt. Zudem gefiel es mir natürlich, welche Verehrung ihm von den ahnungslosen Zusehern entgegengebracht wurde. Matzi war ein richtiger Held.

Ich war ebenfalls im Besitze einer selbstgeknüpften Doppelfiffi. Und nicht nur das – auch einen selbstgeknüpften Brustgurt (der eher einem zwanzig Zentimeter breiten Nierengürtel glich) nannte ich mein Eigen. Dazu ein paar einzelne Karabiner, einen Helm, einen Kletterhammer, Bergschuhe und eine zehn Meter lange Reepschnur.

Was also lag näher, als es Matzi gleichzutun und einen furiosen Auftritt vor staunendem Publikum hinzulegen. Mein Entschluss war gefasst und eines schönen Morgens radelte ich nach Mixnitz.

Der Einstieg war rasch erreicht denn damals befand sich das Bachbett noch gute fünf Meter höher als heutzutage und schon legte ich los. Die Selbstsicherung bestand aus einem Reepschnurring den ich durch den ersten Haken fädelte und ich trapste in meiner Strickleiter Stufe um Stufe nach oben. Von johlenden Zusehern war weit und breit nichts zu sehen.

Von Haken zu Haken wuchs mein Respekt vor Matzis Leistung. Er stand beim Bohren tatsächlich jedes Mal in der letzten Sprosse und ich erreichte die Haken nur mit Müh und Not und mit schlotternden Knien. Beim fünften Haken angelangt, tauchten endlich die ersehnten Zuschauer auf. Mit einem lauten Jodler machte ich auf mich aufmerksam und endlich konnte auch ich mich als furchtlosen Bergsteiger, als Held feiern lassen.

Als kurz darauf die Wanderergruppe ihren Aussichtsplatz verlassen hatte, war es mit meinem Mut dasselbe. Er hatte mich verlassen. Haken für Haken arbeitete ich mich wieder nach unten und ich setzte mich schließlich im Bachbett auf einen Stein und genoss den Tag und das Gefühl wenigstens für einige Minuten ein Held gewesen zu sein.

Dass diese Bohrhakenleiter eines Tages frei geklettert werden könnte, war damals noch kein Thema. Den Begriff Sportklettern gab es noch nicht und außerdem - wie soll man irgendwo ohne Strickleitern hochklettern wenn sich auf dreißig Metern kein einziger Griff befindet?

Achtunddreißig Jahre später kletterte Andi Matuska frei durch diese Hausmauer, nannte die Route „Closing Time" und bewertete sie mit dem Schwierigkeitsgrad 8c. Ich wäre gern am gegenüberliegenden Marterturm gesessen und hätte ihm dabei zugesehen. Und in dem Augenblick in dem er die Umlenkung klinkte, hätte ich einen schallenden Juchezer losgelassen und mich voller Respekt und Begeisterung tief vor ihm verneigt. 

Photo credit: Stefan Köchel

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Kommentare 5

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Stefan Gruber

am Montag, 16. April 2018 09:20

Ist das diese Linie: https://vimeo.com/5319037 (ab 25:55)?

  • 1
Ist das diese Linie: https://vimeo.com/5319037 (ab 25:55)?

Horst Jobstraibitzer

am Montag, 16. April 2018 09:23

Ja genau! Coooooool.

  • 0
Ja genau! Coooooool. :D

Michael Gattol

am Montag, 16. April 2018 15:55

storke Leistung ? vom Andi & cooles Foto ? obendrein

  • 0
storke Leistung ? vom Andi & cooles Foto ? obendrein

Bernhard Lechner

am Sonntag, 13. Mai 2018 22:32

Beim Stichwort "Bachbettprojekt" sollten wir wieder einmal an Matthias "Hias" Leitner denken. Hias kannte jeden Weltklassekletterer persönlich, wußte jede Schlüsselstelle jeder Weltklasseroute auswendig und redete gut und gerne darüber. Beim Bärenschützwirten hatte er ein dankbares, weil fachkundiges Publikum. In eindringlichen Worten beschrieb er die Einstiegssequenz des Bachbettprojektes. Er gelangte schließlich zur Schlüsselstelle der Route. Um den Zuhörern die Schwierigkeiten der Route zu demonstrieren, holte er eine Zündholzschachtel aus der Tasche und schob den inneren Teil ein ganz klein wenig nach vor. "So ist der Schlüsselgriff", sagte er und fixierte mit aufgestellten Fingern die kleine Leiste. "Dann muss man noch die Füße richtig setzen und..." und Hias explodierte mit einem Doppeldynamo in Richtung Ausstiegsgriff.
Er scheiterte. Allerdings nicht weil ihm die Kraft fehlte oder der Fuß doch noch vom Tritt rutschte. Schuld war die Kellnerin, die gerade im Augenblick des Dynamos mit einem Tablett zum Kletterertisch kam und Bier und Radler und Pago mit Wasser und Knödel mit Ei und was der Kletterer von Welt nach einem erfolgreichen Tag sonst noch im Wirtshaus bestellt, ergossen sich unkontrolliert und durcheinander auf den Tisch.

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Beim Stichwort "Bachbettprojekt" sollten wir wieder einmal an Matthias "Hias" Leitner denken. Hias kannte jeden Weltklassekletterer persönlich, wußte jede Schlüsselstelle jeder Weltklasseroute auswendig und redete gut und gerne darüber. Beim Bärenschützwirten hatte er ein dankbares, weil fachkundiges Publikum. In eindringlichen Worten beschrieb er die Einstiegssequenz des Bachbettprojektes. Er gelangte schließlich zur Schlüsselstelle der Route. Um den Zuhörern die Schwierigkeiten der Route zu demonstrieren, holte er eine Zündholzschachtel aus der Tasche und schob den inneren Teil ein ganz klein wenig nach vor. "So ist der Schlüsselgriff", sagte er und fixierte mit aufgestellten Fingern die kleine Leiste. "Dann muss man noch die Füße richtig setzen und..." und Hias explodierte mit einem Doppeldynamo in Richtung Ausstiegsgriff. Er scheiterte. Allerdings nicht weil ihm die Kraft fehlte oder der Fuß doch noch vom Tritt rutschte. Schuld war die Kellnerin, die gerade im Augenblick des Dynamos mit einem Tablett zum Kletterertisch kam und Bier und Radler und Pago mit Wasser und Knödel mit Ei und was der Kletterer von Welt nach einem erfolgreichen Tag sonst noch im Wirtshaus bestellt, ergossen sich unkontrolliert und durcheinander auf den Tisch.

Horst Jobstraibitzer

am Montag, 14. Mai 2018 04:31

Hallo Bernhard. Der Hias kommt in meinen Gedanken tatsächlich beinahe täglich irgendwann einmal vor und gerade jetzt, beim Genuss deiner Zeilen, fällt mir wieder eine Episode mit ihm ein:
Eines Donnerstags Abends läutete mein Telefon und als ich den Hörer abnahm, (es war vor den Handy Zeiten), meldete sich Hias am anderen Ende der Leitung.
"Horst!" sagte er "Was hältst du von einer Zinnenpartie? Wir blitzen morgen Abend runter zur Auronzohütte. Hauen uns am Samstag eine lässige Tour hinauf und tuckern am Sonntag wieder gemütlich nach Hause."
Ich war damals Vater zweier Kleinkinder und meine Wochenenden hatte ich familientechnisch verplant. Mit gemischten Gefühlen, (ich wusste, dass Hias mit der Schweizerführe in der Nordwand der westlichen Zinne liebäugelte), sagte ich ihm ab.
"Schade" meinte der Hias. "Na, dann werde ich wohl den Alexander Huber anrufen!".
Ich war erst einmal sprachlos.
"Hias", sagte ich dann. "Es ist mir jetzt wirklich eine große Ehre, dass du mich vor dem Alexander angerufen hast."
Hias rief im Anschluss an unser Telefonat tatsächlich den Alexander Huber an. Die Beiden blitzten am Freitag in die Zinnen,kletterten am Samstag die Scoiattolikante an der großen Zinne und Hias wurde mit einem ganzseitigen Foto in Alexanders Buch über die Drei Zinnen bedacht.

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Hallo Bernhard. Der Hias kommt in meinen Gedanken tatsächlich beinahe täglich irgendwann einmal vor und gerade jetzt, beim Genuss deiner Zeilen, fällt mir wieder eine Episode mit ihm ein: Eines Donnerstags Abends läutete mein Telefon und als ich den Hörer abnahm, (es war vor den Handy Zeiten), meldete sich Hias am anderen Ende der Leitung. "Horst!" sagte er "Was hältst du von einer Zinnenpartie? Wir blitzen morgen Abend runter zur Auronzohütte. Hauen uns am Samstag eine lässige Tour hinauf und tuckern am Sonntag wieder gemütlich nach Hause." Ich war damals Vater zweier Kleinkinder und meine Wochenenden hatte ich familientechnisch verplant. Mit gemischten Gefühlen, (ich wusste, dass Hias mit der Schweizerführe in der Nordwand der westlichen Zinne liebäugelte), sagte ich ihm ab. "Schade" meinte der Hias. "Na, dann werde ich wohl den Alexander Huber anrufen!". Ich war erst einmal sprachlos. "Hias", sagte ich dann. "Es ist mir jetzt wirklich eine große Ehre, dass du mich vor dem Alexander angerufen hast." Hias rief im Anschluss an unser Telefonat tatsächlich den Alexander Huber an. Die Beiden blitzten am Freitag in die Zinnen,kletterten am Samstag die Scoiattolikante an der großen Zinne und Hias wurde mit einem ganzseitigen Foto in Alexanders Buch über die Drei Zinnen bedacht.