Skip to main content
5 Minuten Lesezeit (1005 Wörter)

"Mohr im Hemd"

downloa_20170429-113840_1

 „Gewürznagerl" sagte Woidl zur Verkäuferin im Supermarkt von Arco. „Wir brauchen Gewürznagerl" Die Verkäuferin verstand kein Wort. Letztlich fanden wir doch alles, wonach wir suchten. Zimtrinde , Gewürznagerl (Zimtnelken) und Wein. Die bittere Kälte in Arco zwang uns, richtig schweres Geschütz aufzufahren. Glühwein sollte uns helfen die Nacht einigermaßen heil zu überstehen. Mir persönlich kam der Wein im Tetrapack ein wenig zu billig vor – und mein Gefühl sollte mich nicht trügen. Irgendwann in der Nacht wachte ich dann mit dröhnendem Schädel im Zelt auf. Ich hatte das Gefühl mir würde der Kopf abgeschraubt. Etwas an der Rezeptur hatten wir wohl falsch gemacht. Immerhin war es ein lustiger Abend, soweit ich mich noch erinnern konnte. 

Der nächste Morgen sah uns in nicht allerbester Verfassung. Alle drei schauten wir ziemlich zerstört aus unseren Schlafsäcken. Ernstls Thermometer zeigte um 9 Uhr -6° Celsius an. In der Sonne! Zum Glück hatte ich das Nutellaglas abends in meinen Schlafsack gesteckt. Zumindest das Frühstück war gerettet. Arco erstrahlte im winterlichen Sonnenschein. Am Campingplatz standen genau zwei Zelte. Nämlich unsere. Niemand sonst war so verrückt bei diesen Temperaturen zu zelten. Wir waren nun seit einigen Tagen hier und eigentlich war es perfekt. Wenig Leute am Fels und herrlicher Sonnenschein. Nur die Temperaturen kamen kaum ins Plus. Für unseren letzten Tag in Arco hatten wir den Sektor La Gola eingeplant. Etwas nördlich von Arco gelegen. Ganz romantisch am kleinen Toblinosee. Mit Schlösschen. Seit vergangenem Jahr hatte ich dort noch eine Rechnung offen. Miniminoprio ist eine herrliche, technisch anspruchsvolle, 6c+. Im Vorjahr hatte sie mich kurz vor der Umlenkung abgeworfen und ich hatte geschworen wiederzukommen. Nach dem Aufwärmen klappte es diesmal auf Anhieb.

Woidls erster Start in der Route war ein Desaster. Nicht einen einzigen Tritt konnte er antreten ohne zu rutschen. Er keuchte, fluchte und arbeitete sich im grauenvollsten aller möglichen Stile nach oben. Beim Ablassen ließ er die Schlingen hängen. „Woidl" rief ich hinauf „die Schlingen!" „Ich mach ja noch einen Versuch" tönte es von oben" „Waaas????" Bei allem Optimismus – hier war der ja wohl gänzlich unberechtigt. Ernstl spulte während der ganzen Woche eine Route nach der anderen mit stoischer Ruhe ab. Hier eine nette 7a, dort eine gar nicht leichte 7b. Bei ihm bestand nie die Gefahr runterzufliegen. Während Woidl pausierte, stieg er in eine 7b ganz in der Nähe ein. Wie gewohnt mühelos gelangen ihm die ersten Meter. Er kletterte elegant, ohne Hektik in seinen Bewegungen. Erst weit oben kam er ins Stocken. Sein Sicherungsseil lief nach oben, dann nach unten und gleich darauf wieder nach oben. Offensichtlich war er an der Schlüsselstelle angelangt und auf der Suche nach der richtigen Lösung. Dann bewegte sich das Seil für kurze Zeit gar nicht. „Zefix" hörte man Ernstls Stimme von oben. Dann ein paar schabende Geräusche und das Seil lief wieder mit konstanter Geschwindigkeit durch mein Sicherungsgerät. Er hatte wohl beherzt zugepackt und mit der Crux kurzen Prozess gemacht.

Als Woidl sich zu seinem zweiten Versuch fertigmachte, sah ich das Glitzern in seinen Augen. Offensichtlich war er im Wettkampfmodus. Vor seiner Kletterkarriere war er Schirennläufer. Hochtalentiert. Aber wohl das schlampigste Talent, dass man sich nur vorstellen konnte. Ich erinnere mich, dass er für einen Verein startete, dessen hervorragende Nachwuchsarbeit weithin berühmt war. Als Höhepunkt der Saison galten stets die Vereinsmeisterschaften. Und während sich die Athleten von September an mit beinhartem Training auf die Wintersaison vorbereiteten, schlug Woidl eine gänzlich andere Taktik an. Er trainierte prinzipiell gar nichts und den letzten Abend vor dem Rennen machte er üblicherweise durch. Im Starthaus schließlich, am Renntag, befand er sich in einem Zustand, der nicht an einen Sportler denken ließ. Woidl startete dennoch. Bei der abendlichen Siegerehrung stand er dann, über Jahre hinweg, am Treppchen. Ganz oben. Wieder einmal hatte er es geschafft die Konkurrenz nicht etwa nur zu besiegen – es war die maximal mögliche Demütigung für die Jungs. Sie dankten Gott dafür, als er seine Karriere als Schirennläufer beendete. Jetzt unter der Platte in der La Gola war Woidl wieder in seinem Element. Zwar gab es niemanden zu demütigen – ich war ja bereits erfolgreich und auch die vergangene Nacht hatte weitaus humaneren Charakter als die Nächte vor seinen Schirennen, aber er schien sehr fokussiert zu sein. Als er den Boden verließ, bot sich ein gänzlich anderes Bild als noch eine Stunde zuvor. Woidl kletterte die Route nicht – er rollte sie hinauf. „Rolling" pflegten wir zu solchen Darbietungen zu sagen. Es gab keine Unsicherheit, keinen Rutscher. Völlig entspannt klippte er die Kette. 

Es war unsere letzte Route in Arco. Bei der Heimreise, auf der Brennerautobahn, kam dann ein weiteres Talent Woidls ans Tageslicht. Er war anscheinend auch ein begnadeter Motorsportler. Bei Tempo 180 trank er, am Steuer seines blauen Golf sitzend, aus der 2 Liter Colaflasche, während er Speck schnitt. Das Schneidbrett lag auf seinen Oberschenkeln und das Lenkrad bediente er mit den Knien. Schalten brauchte er nicht denn er fuhr ohnehin auf Anschlag. Hätte er nicht unser uneingeschränktes Vertrauen, was seine Fahrkünste anbelangte, genossen, wären wir wohl mit einem Nervenzusammenbruch kollabiert. Stunden später erreichten wir Toblach. Gerade recht für ein nettes Abendessen, wie wir fanden, als wir vor dem Dolomitenhof einparkten. Die Spaghetti Carbonara waren köstlich und als uns die Bedienung nach einem Nachtisch fragte, rannte sie bei uns offene Türen ein. Gegen etwas Süßes hatten wir nie etwas einzuwenden. Die gute Laune der Kellnerin verflog allerdings in dem Moment als Woidl sich für die mexikanische Torte entschied. Gezählte fünf Minuten nervte er die junge Dame mit der Frage ob wohl auch Chilischoten in der Torte wären. (Sie konnte, oder wollte, es nicht beantworten). Dann kam Ernstl dran zu bestellen. 

„Er hätte gerne" , sagte er und dabei lehnte er sich genüßlich in seinem Sessel zurück „ Einen Neger im Pyjama". 

Die Gesichtsfarbe der Kellnerin nahm eine dunkelrote Farbe an. 

„Das gibt es bei uns nicht" sagte sie in verärgertem Ton.

„Steht doch auf der Karte" antwortete Ernstl. 

„Das glaube ich wohl weniger" 

Ernstl schlug die Speisekarte auf und blätterte zurück bis zu den Desserts. 

„Hier stehts ja „ sagte er triumphierend und wies mit dem Finger auf die Karte. „Mohr im Hemd".

 

Kommentare

Bereits registriert? Hier einloggen
Der Blog wurde noch nicht kommentiert.
Sei der Erste :)